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Anwaltsschreiben ohne Bevollmächtigung

Das Fehlen einer schriftlichen Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts darf das Gericht lediglich dann von Amts wegen berücksichtigen, falls stichhaltige Zweifel am Mandat bestehen. Derartige Bedenken dürfen laut Bundesverfassungsgericht keineswegs allein dadurch fundiert werden, dass bisher keine Vollmacht in den Akten vorhanden ist. Ungeachtet dessen müsse dem Rechtsbeistand eine hinreichende Frist zur Vorlage eingeräumt werden.

Vorlage der Vollmacht binnen Wochenfrist

Vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg hatte ein Mann bezüglich Fischereirechte für ein Gewässer auf seinem Grundstück prozessiert. Das VG wies seine Klage zurück. Besonders verärgerte ihn dabei, dass das Gericht einen Antrag seines erkrankten Rechtsanwalts auf Terminverschiebung ignoriert hatte. In seiner eigenhändig verfassten Dienstaufsichtsbeschwerde führte der Mandant aus, dass der - namentlich genannte - Rechtsanwalt bereits "Einspruch" gegen das "Versäumnisurteil" eingelegt habe. Tatsächlich beantragte dieser am 12.11.2020 beim OVG Magdeburg die Zulassung der Berufung. Am 20.11. räumte das Gericht eine Frist von einer Woche zur Einreichung einer schriftlichen Vollmacht ein. Am 01.12. telefonierte die Geschäftsstelle mit dem Bevollmächtigten. Hierbei teilte dieser mit, dass sich das Schriftstück noch auf dem Postweg zu ihm befände und er es unverzüglich weiterleiten werde. Dasselbe teilte er per Schriftsatz vom Folgetag dem OVG mit. Die Vollmacht erreichte ihn letztendlich am 08.12. und wurde umgehend weitergeleitet. Jedoch hatte das Oberverwaltungsgericht bereits am 03.12. die Berufung aufgrund der fehlenden Vollmacht als unzulässig abgewiesen. Die Verfassungsbeschwerde war erfolgreich.

Organ der Rechtspflege

Die 1. Kammer des Ersten Senats mit dem Präsidenten des BVerfG, Stephan Harbarth, sah in der Entscheidung eine Verletzung der Rechtsschutzgarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. § 67 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 6 Satz 1 VwGO lasse eine Berücksichtigung eines Vollmachtsmangels durch ein Gericht gegenüber einem Rechtsanwalt von Amts wegen grundsätzlich nicht zu. Ausnahmen wären anerkannt, beispielsweise wenn zusätzlich der vermeintliche Mandant unrichtig bezeichnet würde. Allein die Nichtvorlage nach Aufforderung untergrabe nach Ansicht der Verfassungsrichter das Vertrauen in den Anwalt als Organ der Rechtspflege nicht. Als unzureichend erachteten sie des Weiteren den Hinweis des OVG, dass bereits in erster Instanz keine Vollmacht vorgelegt worden sei: Aus der Dienstaufsichtsbeschwerde gehe "unmissverständlich" der Wunsch des Mandanten hervor, gerade mit diesem Bevollmächtigten gegen das Urteil vorzugehen, sowie dessen Beauftragung für das Verfahren vor dem VG. Die Karlsruher Richter hoben hervor, dass selbst im Falle angebrachter Zweifel die Wochenfrist hier unnötig kurz bemessen gewesen wäre.

BVerfG, Beschluss vom 18.02.2022 - 1 BvR 305/21

Redaktion beck-aktuell; Michael Dollmann, Mitglied der NJW-Redaktion, 7. April 2022.

Weiterführende Informationen

Aus der Datenbank beck-online

BVerfG, Beschluss vom 18.02.2022 – 1 BvR 305/21, BeckRS 2022, 6600 (Entscheidung in dieser Angelegenheit)

OVG Magdeburg: Gerichtliche Überprüfung der Bevollmächtigung des Rechtsanwalts, NVwZ-RR 2021, 383 (aufgehobene Entscheidung)

Schenk, Neue Rechtsprechung zum Verwaltungsprozessrecht, NVwZ 2021, 1026 (zur OVG-Entscheidung unter IV.)

BGH, Zweifel an der Wirksamkeit einer Prozessvollmacht, NJW 2001, 2095 (zu § 88 II ZPO)